EFHOH Konferenz in Essen

24. April 2015 Netzwerk11 Minutes

„Die UN-Behindertenrechtskonvention und ihre Umsetzung für schwerhörige Menschen in den europäischen Mitgliedstaaten“

Der Europäische Schwerhörigenbund (EFHOH = European Federation Of Hard Of Hearing People) lud unter diesem Motto ein zur internationalen Konferenz in Essen, organisiert vom DSB e.V. unter der Leitung von Renate Welter.

Die Vorträge und Workshops waren barrierefrei, d.h. sie wurden simultan gedolmetscht in englische bzw. deutsche Schriftsprache sowie in Deutsche Gebärdensprache. Die Behindertenbeauftragte des Deutschen Bundestages, Verena Bentele, als Schirmherrin, Marcel Bobeldijk (Präsident des EFHOH) und Dr. Harald Seidler (Präsident des DSB e.V.) eröffneten das Tagesprogram. Ihnen folgten 7 weitere Referenten.

Zum Thema des Tages, Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention für schwerhörige und ertaubte Menschen, sprach eindrucksvoll Herr Prof. Dr. Ulrich Hase. Schwerpunktthemen in weiteren Vorträgen waren vor allem Barrierefreiheit als Schlüssel zur Inklusion, Inklusiver Arbeitsmarkt und Patientenbeteiligung im Gesundheitssystem.

Gemeinsam war all diesen Beiträgen die Feststellung, dass durch die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 zwar schon für behinderte Menschen in Europa einige inklusive Maßnahmen in die Wege geleitet wurden, dass der damit begonnene Prozess aber besonders für schwerhörige und ertaubte Menschen noch in den Kinderschuhen steckt.

Die UN-Behindertenrechtskonvention gesteht allen Menschen, ob behindert oder  nicht, Chancengleichheit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Bildungs- und  Weiterbildungssystem, sowie ein Arbeitsleben ohne Diskriminierung zu. Dazu gehören die Bereitstellung von qualifizierten Beratungsstellen, Hilfsmitteln wie z.B. Hörgeräten, Dolmetschern, Kommunikationsbegleitern und technischen Hilfen, die den Alltag und die Arbeit erleichtern. Für die individuelle Selbstverwirklichung und die Ausschöpfung seiner Potentiale ist aber jeder persönlich verantwortlich. Auf Kommunikationsbrüche sollten wir hinweisen. Durch Aufklärung der Gesellschaft und der Politik über unsere Situation und unsere Bedürfnisse, durch Bündelung und Austragung unserer Ressourcen, durch Leistungsbereitschaft und durch Zusammenhalt und Zusammenarbeit in Netzwerken können wir auf uns aufmerksam machen, Anerkennung und Verständnis gewinnen und Vorurteile widerlegen. Es sollten kompakte Aktionspläne aufgestellt und konkrete Prozesse in Gang gesetzt werden, anstatt dass jeder Verband sich im Einzelkampf aufreibt, und wir sollten Interessenvertreter in der Politik haben.

Prof. Dr. Hase zeigte den Unterschied zwischen Integration und Inklusion anhand von zwei Bildern sehr schön auf. Dargestellt ist jeweils ein Haus, welches symbolisch für unsere „Gesellschaft“ in ihrer Gesamtheit steht. Im Haus „Integration“ stehen Behinderte außen vor der Tür und bitten um Hilfe, Assistenz, um eintreten zu können. (= Status Quo Integration). Das Haus „Inklusion“ bewohnen alle gemeinsam: Alte, Kinder, Behinderte, Nichtbehinderte, Migranten…

Die Vorkehrungen zur Gemeinschaft sind da, aber um dort gut miteinander wohnen zu können, renovieren sie es mit vereinten Kräften. Inklusionsmaßnahmen sind die „Putzmittel“, die benötigt werden, um alles auf Hochglanz, d.h. zu einem guten Zusammenspiel in einer vielfältigen Gesellschaft zu bringen. Das Versagen von geeigneten Putzmitteln, im Sinne der Schwerhörigen, z.B. Übernahme der Kosten für Hörgeräte (Anm. Heike), ist nach Artikel 2 UN-Behindertenrechtskonven-tion auch Diskriminierung. Auch gibt es Diskussionen, ob das Teilhabegeld einkommens- und vermögensabhängig gemacht werden darf.

Am Beispiel hörbehinderter, inklusiv beschulter Kinder verdeutlichte Prof. Hase die Komplexität der Herausforderungen für alle: Es reicht nicht, geeignete technische Hilfsmittel und Schulbegleiter zur Verfügung zu stellen, wenn in den Pausen die hörbehinderten Mitschüler Integrationsprobleme haben, weil sie wegen ihrer Kommunikationsbeschränkung nicht gleichwertige Teilnehmer z.B. in den Pausenspielen sein können. Für ein gemeinsames Selbstverständnis müssen in diesem Beispiel Aufklärung der Schulgemeinschaft über die Auswirkungen einer Hörbehinderung und gegenseitige Öffnung und Kompromissbereitschaft erfolgen.

Thema Gesundheitswesen: Es wird mehr Patientenbeteiligung im deutschen Gesundheitssystem gefordert, damit auch individuell besser Hilfe geleistet werden kann, z.B. in der Hörgeräteversorgung. Für das Bemühen um ein besseres Mitsprach- und Antragsrecht von Sozialverbänden, u.a. des DSB als Mitgliedsverband der BAG Selbsthilfe, musste lange mit bisher unzureichenden Ergebnissen gekämpft werden. „Es ist viel Energie verpufft.“ Die Verbände möchten sich ihre Vertreter gegenüber Krankenkassen und Ärzteschaft nicht von der Politik vorschreiben lassen, sondern diese selbst benennen. Für den DSB ist das gegenwärtig Renate Welter. Auch sollten Hörbehinderte in Wohnortnähe Krankenhäuser vorfinden, die für sie barrierefrei sind, z.B. durch die Ausstattung mit technischen Hörhilfen und die Schulung des Personals in Kommunikationsbedingungen und Gebärdensprache.

Die DIN 18040 macht Vorgaben zum barrierefreien Bauen. In neu zu planenden Bauten können durch bewusst störarme Gestaltung von Räumen, optimale Beleuchtung, sowie Vorkehrungen für den Einsatz von Hörhilfsmitteln (Induktive, Infrarot- und über Funk betriebene Anlagen) und geeigneten Kommunikationsanlagen (z.B. an Schaltern, Klingeln und in Aufzügen) Kommunikationsbedürfnisse von hörbehinderten Menschen gezielt berücksichtigt werden. Altbauten sind häufig schwer umzurüsten. Hörbehinderte selbst können zur Optimierung der Kommunikation beitragen, wenn sie stark hallende Räume meiden und selbstbewusst aufklärend auf gegenseitiges, respektvolles und verständnisvolles Gesprächsverhalten hinweisen und hinwirken.

Befriedigende Arbeit, die zielgerichtet ist und Erfolgserlebnisse gibt, ist ein wesentliches Instrument zur Selbstverwirklichung. Bürgerliche und politische Rechte und Pflichten sollen die Chancengleichheit aller Menschen auf dem Arbeitsmarkt, ihre Teilhabe am Arbeitsleben und das Mitspracherecht behinderter Arbeitnehmer regeln. In der Lebenswirklichkeit funktioniert das aber nur, wenn jeder Einzelne bereit ist, seine Potentiale auszuschöpfen, klein anzufangen, sich optimal einzubringen, kompromissbereit zu sein und so seinem Arbeitgeber zu beweisen, was in ihm steckt. Dann wird man sich, so Herr Popescu-Willigmann, auch erfolgreich hocharbeiten können. Vorurteile, man sei als Hörbehinderter für einen bestimmten Job nur bedingt geeignet, müssen widerlegt werden. Auch in den Köpfen von Arbeitgebern herrscht oft Unwissenheit gegenüber Hörbehinderten, deren Kommunikationsbedürfnisse und entsprechende Hilfsmöglichkeiten und Leistungsvermögen vor. Ein hörbehinderter Arbeitnehmer kann z.B. durch seinen Einsatz selbst überzeugen, dass er nicht langsamer und damit ineffizienter als nicht behinderte Arbeitnehmer seine Aufgaben erfüllt. Hörbehinderte sollten auch Bewältigungsstrategien entwickeln, Coachings in Anspruch nehmen und Netzwerke bilden.

Hörakustiker, ausdrücklich auch hörbehinderte Berufsinteressierte, werden im Campus Lübeck unter der Direktion von Herrn Baschab nach neuesten Standards dual ausgebildet.

Der DSB e.V. ist bekanntlich eine anerkannte und umfassende Ausbildungsstätte für Schriftdolmetscher. Die Schulung erfolgt in 6 Wochenendmodulen, die Abschlusszertifikate werden für 3 Jahre vergeben. Renate Welter wirbt ausdrücklich für diesen Beruf, der ein sehr vielfältiges Themenspektrum bietet, aber auch umfassendes, zu schulendes Verständnis für die Situation Hörbehinderter voraussetzt.

Frau Dr. Sommer bittet alle Schwerhörigen und Ertaubten, bei gravierenden Problemen z.B. mit Bescheiden von Behörden und Beratungsstellen, die nach den Richtlinien der UN-Behindertenrechts-konvention nicht hinnehmbar sind, die Kontrollkommission des Europäischen Parlaments anzuschreiben. Europaabgeordnete stellen Anfragen und fordern öffentliche Stellungnahmen an. Sie versuchen zu helfen. Außerdem berichten nach ihrer Erfahrung die lokalen Tageszeitungen gerne, wenn es um konkrete Problemfälle geht, und das treibt dann meist andere Mühlen an.

In drei Workshops wurden nachmittags die Themen Gesundheitswesen, Barrierefreiheit und Arbeitsmarkt mit Focus auf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention für Schwerhörige und Ertaubte mit Impulsvorträgen eingeleitet. Die Zeit für anschließende Fragen war aus unserer Sicht zu knapp. Diskussionen wurden gar nicht ermöglicht. Da die Teilnehmer der Konferenz aus ganz Europa kamen, wurden auch Erfahrungen oder Fragen aus anderen europäischen Ländern kurz eingebracht. In Dänemark z.B. bekommen Hörbehinderte Hörgeräte ganz unkompliziert und selbstkostenfrei in allgemeinen Krankenhäusern, in Tschechien hat ein Teilnehmer in einer Kirche an jedem Sitzplatz einen kleinen Lautsprecher für Schwerhörige entdeckt.

Die Veranstaltung endete mit der Vorstellung der Essener Erklärung, welche den Mitgliedern des Europaparlaments überreicht werden soll. Deren Titel lautet: „Access to Hearing Aids is Access to Opportunity“ (Zugang zu Hörgeräten ist ein Zugang zur Inklusion). Die Ausstattung mit Hörgeräten für hörbehinderte Menschen in Europa sei bedroht. Die Chancengleichheit und ein selbstbestimmtes Leben nach §5 UN-Behindertenrechtskonvention könnten für Schwerhörige aber nur durch eine ausreichende Versorgung mit qualitativ guten Hörgeräten und Hilfsmitteln gewährleistet sein. Deshalb wird ausdrücklich eine bessere, qualitativ gute und kostenfreie Versorgung mit Hörgeräten für Schwerhörige und Ertaubte gefordert.

Insgesamt war es eine gelungene Veranstaltung und für uns als Erstlinge eine interessante Erfahrung, mit Schwerhörigen aus anderen Ländern zu kommunizieren. Frauke hätte sich die Kenntnis der LBG gewünscht, in solchen Situationen vereinfacht sie die Kommunikation, besonders nach einem anstrengenden Tag, enorm. Und Heike hätte sich gewünscht, dass die LBG allgemein auch unter den anwesenden Mitgliedern des DSB und der EFHOH mehr angewendet würde, denn sie hat kein akustisches Sprachverständnis mehr und konnte ohne Fraukes Hilfe nicht mal Deutsch und Englisch voneinander unterscheiden.

Bleibt zu hoffen, dass die Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention und die entsprechenden Aktionspläne auch umgesetzt werden! Hierfür müssen wir uns weiterhin gemeinsam stark machen!

Unsere Teilnahme wurde dankenswerterweise von der Stiftung HAMSTER durch einen finanziellen Zuschuss gefördert.

Frauke Braeschke und Heike Ladewig