Was Schwerhörige brauchen – 9. Thementag des BdS am 2.11.13
Schon der Flyer zur Veranstaltung versprach spannende Programminhalte zum diesjährigen Motto „Was Schwerhörige brauchen“ wie z.B. zu den Themen Kommunikation, Umgang mit der Schwerhörigkeit, soziales Miteinander, Hörstress und einiges mehr. Kennzeichnend war außerdem, dass nicht nur Fachleute zu Wort kamen, sondern auch interessante sowie bewegende Beiträge von Betroffenen vorgetragen wurden.
Die Veranstaltung wurde souverän von Pascal Thomann nach einleitenden Grußworten durch Matthias Schulz moderiert. Dieser wies gleich zu Anfang darauf hin, dass der besondere Tag ohne die Spendenbereitschaft von CI-Herstellern nicht möglich gewesen wäre.
Das Vormittagsprogramm startete mit einem sehr informativen Vortrag von Frau Kerstin Krebs mit dem Thema „Was Hörgeräteträger brauchen“. Vielen dürfte die Hörgeschädigtenpädagogin bereits durch das Seminar „Kommunikationstraining“, welches alljährlich im BdS angeboten wird, bekannt sein. Frau Krebs stellte ihre sich über mehrere Kurseinheiten erstreckende Arbeit und die Ziele, die mit dem Kommunikationstraining erreicht werden sollen, vor. Mit diesem Kurs sollen sich zunächst spätschwerhörige Hörgeräteträger angesprochen fühlen, da diese durch die plötzliche Kommunikationsbarriere oft große Veränderungen im sozialen Umfeld, sei es im Privaten oder im beruflichen Bereich, wenn nicht gar eine Isolation durch das sich Ausgeschlossenfühlen erfahren. Aber nicht nur für Spätschwerhörige mit Hörgeräten, sondern auch für „frische“ CI-Träger und die „langjährigen Schwerhörigen“ sei dieser Kurs geeignet. Im Seminar soll nicht nur das Hören verbessert werden, sondern auch die individuellen kommunikativen Kompetenzen erweitert und die Möglichkeiten, die Kommunikation für die Betroffenen einfacher zu gestalten, aufgezeigt werden. Nicht zu vergessen sei für Frau Krebs das Bewusstmachen der persönlichen Grenzen innerhalb der Hörschädigung. Das heißt, auch psychologische Elemente eines jeden Einzelnen finden in diesem Kurs große Beachtung. Der Kurs beinhaltet zunächst ein Hörtraining, wobei trotz unterschiedlichem Hörstatus der Teilnehmer versucht wird, auf jeden Einzelnen einzugehen. Ein weiterer wichtiger Punkt sei das Absehtraining, welches sogar in einem Fortgeschrittenenkurs intensiviert werden könne. Auch die individuellen Audiogramme können gemeinsam besprochen werden, im Einzelfall sogar in Rahmen ihrer Tätigkeit in einer HNO-Praxis bei einer psychosozialen Beratung. Zuletzt beinhaltet das Seminar ein Verhaltenstraining – Hör- und Kommunikationstaktik genannt- im Umgang mit der eigenen Hörschädigung gegenüber Hörenden, welches vor allem in Rollenspielen geübt wird, manchmal sogar unter Hinzunahme hörender Angehöriger oder Freunde.
Insgesamt soll mit dem Kommunikationstraining erreicht werden, dass der Einzelne mit den zwischenmenschlichen Kontakten insgesamt zufriedener und selbstbewusster wird.
Die beiden ehemaligen Kursteilnehmerinnen Frau Marlies Ristau und Frau Systa Grigjanis trugen in ihren sich anschließenden sehr persönlichen und gelungenen Beiträgen ihre zumeist positiven Erfahrungen zum Seminar vor. In einer abschließenden Diskussionsrunde konnte auf viele Fragen der Besucher des Thementages eingegangen werden. So fragten Hans-Hagen Härtel und ein weiterer Teilnehmer an, ob es nicht angesichts der großen Zahl der Betroffenen und der begrenzten Teilnahmekapazität des Kommunikationstrainings im BdS noch ähnliche Kurse oder interaktive Modelle in Medien/Internet gäbe. Die Frage musste Frau Krebs leider verneinen, lediglich die bekannten CI-Trainingseinheiten im Rahmen der üblichen Rehabilitation und ggfls. die Rehamaßnahmen in verschiedenen Kliniken seien zu erwähnen.
Mitglieder des BdS können sich im BdS aktuell oder auf der Homepage über Termine zu weiteren Kurseinheiten informieren.
Nach dem Vortrag von Frau Krebs sollte ein Beitrag von Frau Dabrowski-Vöge, einer Logopädin, zum Thema „Was CI-Träger brauchen“ folgen. Leider war sie an dem Tag verhindert, aber Matthias Schulz „durfte“ freundlicherweise ihren zur Verfügung gestellten Schriftsatz vortragen. Zunächst einmal ging es darum, dass CI-Träger nach der Implantation ein besonderes Hörtraining brauchen, in Einzel- oder auch in Gruppensitzungen. Die Dauer eines Hörtrainings sei abhängig von den gegebenen Voraussetzungen der CI-Träger, insbesondere der recht häufige Wunsch, wieder oder überhaupt telefonieren zu können, erfordert intensives Training. Im BdS wird in Kürze ein drittes Gruppenhörtraining angeboten, wo Hörübungen durchgeführt werden, wobei die besondere Herausforderung im Sprecherwechsel bestünde. Das heißt, es soll gelernt werden, verschiedene Stimmhöhen, Sprechweisen, Klangfarben und Dialekte wahrzunehmen. Außerdem soll das sogenannte „dichotische Verstehen – der CI-Träger hört zur selben Zeit auf jedem Ohr verschiedene Wörter und kann sie nachsprechen – geübt und somit das Verstehen im geräuschstarken Umfeld verbessert werden.
Spannend war dieses Jahr für eine Gruppe des CI-Hörtrainings der Besuch der Ausstellung „Dialog im Dunkeln“. Hier stellte die Situation, zu keiner Zeit was sehen zu können, weder das Mundbild noch die Ausstattung der Ausstellung, eine besondere, aber auch interessante Herausforderung dar.
Weitere Termine können auch hier im BdS aktuell oder auf der Homepage entnommen werden.
Die anschließende Frage einer Teilnehmerin nach der Gleichstellung eines CI-Trägers – nach Implantation und Hörtraining – mit einem Normalhörenden mussten Matthias Schulz und auch Kerstin Krebs jedoch verneinen. Es sei maximal eine Hörschwelle von 30dB zu erreichen, wobei dies immerhin einer leichtgradigen Schwerhörigkeit entspricht, einem Status, von dem sicher viele ebenso träumen.
Im Hinblick auf die Unterscheidung Kommunikationstraining und CI-Training ergänzte Pascal Thomann, dass es auch für Hörgeräteträger mit dem Wunsch nach verbessertem Hören möglich sei, bei Logopäden ein reines Hörtraining durchzuführen.
Nach einer kurzen Lüftungspause ging es weiter mit einem rührenden Interview zwischen Pascal Thomann und einem 8-jährigen CI-Träger, der sine CIs seit seinem 2. Lebensjahr trägt. Malte besucht die zweite Klasse einer hörenden Schule mit 16 Schülern. Unter Zuhilfenahme einer FM-Anlage und sicher auch menschlicher Unterstützung kommt er gut zurecht. Als Pascal Thomann sagte: „Alles verstehen will man in der Schule sicher auch nicht“, schmunzelten dann doch einige. Toll findet Malte, dass sich sein CI bei Staubsaugerlärm von alleine leiser stellt, eine technische Verbesserung der bisherigen CIs.
Ein weiterer Erfahrungsbericht folgte vom Vorstandsmitglied und Rechtsanwalt Jan Stöffler (J.S.), der wiederum Hörgeräteträger ist und seine Erfahrungen mit dem Hören nicht nur über negative Berichte mitteilte, sondern sie auch über Anekdoten zum Besten gab. So erzählte er vom nicht erlaubten Radfahren in einer Fußgängerzone, welches prompt Ordnungsbeamten auffiel. Die Rufe dieser Beamten hörte J.S. zwar, verstand sie aber nicht. J.S.: „Können Sie es wiederholen?“ Der Ordnungsbeamte: „Ich bring´ Dir gleich das Hören bei!“ J.S.: “Das wäre toll, wenn Ihnen das gelingen würde!“ Als die Beamten jedoch die Hörgeräte sahen, entschuldigten sie sich natürlich. Bei einer beruflichen Prüfung wiederum erwies sich die eigene Schwerhörigkeit sogar als Vorteil, da eine – wohl eher inhaltlich;-) – nicht verstandene Frage auf eine andere Art und Weise, aber verständlicher, wiederholt wurde. Dies kann sogar ich mit einer eigenen identischen Erfahrung bestätigen.
In der Mittagspause durften sich alle mit einem sehr leckeren Imbiss, selbstgebackenen Kuchen und Getränken erfrischen. Die fleißigen Tresendamen ließen keinen verdursten.
So gestärkt ging es weiter in den Nachmittagsteil des Thementages. Peter Dieler, Audiotherapeut aus der Baumrainklinik Bad Berleburg erzählte sehr erheiternd, aber auch direkt und zum Nachdenken bringend über „Hörstress und die psychosozialen Folgen – und was dagegen zu tun ist“. Es fällt mir persönlich sehr schwer, den mit vielen zum Lachen bringenden Abschnitten gestalteten Vortrag nicht so trocken rüberzubringen. Mit einer Audiotherapie soll bei hörbehinderten Menschen versucht werden, eine Verbesserung der Akzeptanz mit der Behinderung sowohl „nach innen als auch nach außen“ zu erreichen. Nach einer kurzen anatomischen Einführung ging es gleich rüber zu den verschiedenen Empfindungen und Auswirkungen der Schwerhörigkeit.
So sei es wichtig, nicht nur mit sich selbst und der Hörschädigung klarzukommen, sondern auch das zumeist hörende Umfeld müsse konsequent vom Schwerhörigen selbst im Umgang mit der Schwerhörigkeit aufgeklärt werden. Nur so sei den vielen Missverständnissen („Herr Krause, ich habe Ihnen doch gesagt, sie sollen ihn beSCHATTEN, nicht beSTATTEN“! in einem Cartoon, wo Herr Krause jemanden begräbt), die sicher jeder Schwerhörige kennt, beizukommen. Ein weiteres lustiges Missverständnis: „Der Doktor hat gesagt, mein linkes Ohr ist voll Staub!“ „Ich kann Sie beruhigen, er hat gesagt: Es ist voll taub!“.
Wichtig sei es, dass das Leben eines Einzelnen nicht ausschließlich durch die Schwerhörigkeit bestimmt wird. Viele zögen sich immer mehr in die Isolation zurück und so entstünde ein falsches Bild von Betroffenen. Man solle nicht dem prozentualen Verlust seiner Hörschädigung nachtrauern, sondern sich für das Loben, was man mit dem restlichen Gehör alles schafft („Ob Du im Himmel oder in der Hölle lebst, entscheiden alleine Deine Gedanken“). Die Erwartungshaltung an sich selbst müsse ebenso begrenzt werden, nur so kann Hörstress besser ausgehalten werden.
Eltern sollten an ihr Kind mit einem CI nicht zu hohe Erwartungen an den Tag legen. Der Anspruch, dass das eigene Kind so normal wie möglich aufwachsen solle, sei zwar verständlich, aber es solle nicht übertrieben werden. Dem Kind sollte “erlaubt“ sein, beide Sprachen, sowohl die Lautsprache als auch die Gebärdensprache, nutzen zu dürfen.
„Ich kann lernen, mit der Einschränkung umzugehen und mit ihr ein zufriedenes Leben zu führen“.
Mit diesem Satz schließt P. Dieler den wunderbaren Vortrag ab.
In seiner Abschlussrede betonte Hans Hagen-Härtel, dass auch der 9. Thementag ein „Top-Ereignis“ gewesen sei . Nicht nur finanzielle Hilfen, sondern auch die tatkräftige Unterstützung durch den BdS im Allgemeinen, besonders aber durch Bettina Grundmann und vieler ehrenamtlicher Helfer und nicht zu vergessen die technische Ausstattung wie Induktionsschleife und der beiden Schriftdolmetscherinnen ließen den Tag zu einem bereichernden Erlebnis für die Teilnehmer werden. Ich selbst habe viele Eindrücke mit nach Hause nehmen können!
Frauke Braeschke