Was bringt das neue Bundesteilhabegesetz für uns Schwerhörige und Ertaubte? (Fortsetzung)

2. Oktober 2017 Wissenswertes5 Minutes

Neben dem Bundesteilhabegesetz, welches das Sozialgesetzbuch im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention verbessern soll, dient auch das im Jahre 2016 reformierte Behindertengleichstellungsgesetz der besseren Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Nach dem Bund werden auch die Bundesländer, wie Hamburg, ihre Landesgleichstellungsgesetze anpassen. Es handelt sich um eine Spezialvorschrift, welche die Behörden verpflichtet, die Benachteiligungen von behinderten Menschen durch Herstellung von Barrierefreiheit zu beseitigen. Hierzu gehören auch Barrieren in der Kommunikation. Das Hamburger Gleichstellungsgesetz gewährt Hörgeschädigten den Anspruch, im Verkehr mit Behörden Gebärdensprachdolmetscher und sonstige Kommunikationshilfen einzusetzen. Details sind in der Kommunikationshilfeverordnung geregelt. Zu den „sonstigen“ Kommunikationshilfen gehören technische Hilfen wie mobile Höranlagen und Schriftdolmetscher. Wer auf solche Kommunikationshilfen angewiesen ist und ein Anliegen bei einer Hamburger Behörde hat, kann von der Behörde die Heranziehung der gewünschten Kommunikationshilfe verlangen. Die Kosten trägt die Behörde.

Für die Novellierung des Hamburger Gleichstellungsgesetzes hat sich der BdS dafür eingesetzt, dass die Schriftdolmetscher  nicht  mehr  pauschal  als „sonstige Kommunikationshilfe“ eingeordnet werden, sondern ausdrücklich neben den Gebärdensprachdolmetschern genannt werden. Zum Forderungskatalog der Schwerhörigenverbände gehört auch seit vielen Jahren, dass öffentliche Veranstaltungsräume  mit  Schallschutz und stationären Höranlagen versehen werden, und zwar nicht nur bei neuen Bauten, sondern auch im Gebäudebestand.

Barrierefreiheit in privaten Räumen Wie erwähnt, verpflichten die Gleichstellungsgesetze nur staatliche Institutionen. Dagegen bestehen für private Räume keine gesetzlichen Vorschriften, mit einer Ausnahme:  Behinderte  Arbeitnehmer bzw. ihre Arbeitgeber können über die Integrationsämter verlangen, dass die Arbeitsplätze barrierefrei ausgestaltet werden.

Ob und inwieweit die Teilhabe von behinderten Menschen gelingt, entscheidet sich nicht zuletzt im Freizeitbereich, dazu gehört nicht nur Unterhaltung, sondern auch Bildung, oder ehrenamtliches Engagement. Für lautsprachlich orientierte Hörgeschädigte sind hierfür zwei Formen der Barrierefreiheit bedeutsam:

Erstens geht es darum, dass öffentlich zugängliche Einrichtungen mit Höranlagen ausgestattet sind. Der BdS wirbt seit langem für die Installation von stationären Höranlagen in Kirchen, Theatern und ähnlichen Institutionen. Der Erfolg lässt sich an unserem Verzeichnis ablesen. Zu diesem Thema gehört auch die erfolgreiche Mitarbeit des BdS beim Arbeitskreis des Norddeutschen Rundfunks (NDR) über barrierefreie Rundfunkangebote. Zweitens werben wir dafür, dass private Veranstalter mobile Höranlagen vorhalten und neben Gebärdendolmetschern auch Schriftdolmetscher einsetzen.

Es ist erfreulich, dass nicht wenige Veranstalter sich inzwischen bereitfinden, mobile oder stationäre Höranlagen zu installieren und Gebärden- und Schriftdolmetscher zu finanzieren. Auf der anderen Seite muss man sich auch fragen, warum private Stellen sich für eine Sache engagieren sollen, die eigentlich eine öffentliche Angelegenheit ist. Es ist inzwischen z.B. unbestritten, dass die öffentliche Hand dafür sorgt, dass auf öffentlichen Verkehrswegen Orientierungsstreifen für Sehbehinderte angelegt werden. Gehört die Gewährleistung von Kommunikation nicht auch dazu?

Persönliches Budget statt Sachleistungen

Ich gehe jetzt einmal über die gegenwärtige Gesetzeslage hinaus und fantasiere, wie es künftig sein könnte. Dazu greife ich eine Bestimmung heraus, die für Leistungen der Eingliederungshilfe oder der Integrationsämter gilt. Beispiel Schriftdolmetscher: Anstatt dass die beantragten Schriftdolmetscher von Fall zu Fall als Sachleistung bewilligt werden, kann den Antragsstellern auch ein persönliches Budget für Schriftdolmetscherleistungen eingeräumt werden, über das diese nach eigenem Ermessen verfügen können.

Die Verbände der Hörgeschädigten sollten sich zum Ziel setzen, dass Hörgeschädigte, die Kommunikationshilfen benötigen, ein Kontingent von Gebärdensprach- oder Schriftdolmetschern erhalten, über das sie für berufliche oder freizeitliche Zwecke frei verfügen können (sogenanntes finnische Modell).

Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung

Zu all den vorgenannten Fragen und zu Ihren Ansprüchen, können Sie unsere Beratungsstelle konsultieren. Dort erhalten Sie Auskunft, die auf Ihre individuelle Situation zugeschnitten ist.

Das Bundesteilhabegesetz sieht eine „unabhängige ergänzende Teilhabeberatung“ vor. Der Gesetzgeber hat sich überzeugen lassen, dass für eine erfolgreiche Teilhabe von behinderten Menschen eine Beratung wichtig ist, die

  • unabhängig von kommerziellen Interessen ist,
  • die Beratungsangebote von Krankenkassen und Reha-Trägern ergänzt,
  • die niedrigschwellig ist, d.h. leicht erreichbar und leicht verstehbar ist und die
  • dem „peer counseling“ genügt, d.h. Beratung von Betroffenen für Betroffene leistet.

Der Bund stellt für die Etablierung einer flächendeckenden Ausstattung von solchen Beratungsstellen 50 Mio. Euro zur Verfügung. Unsere Beratungsstelle genügt all diesen Voraussetzungen. Wir benötigen die neue Förderung nicht, weil die Stadt Hamburg dank der Initiative des BdS entschieden hatte, nicht nur für die Gehörlosen,  sondern  auch  für  die Schwerhörigen und Ertaubten eine Beratungsstelle zu fördern. Die Freie und Hansestadt Hamburg kann die ihr zugeteilten Bundesmittel für den Aufbau anderer Beratungsstellen für behinderte Menschen nutzen.

Diese ist der dritte Teil. Der Schluss folgt

Erster Teil

Zweiter Teil

Hans-Hagen Härtel